Format: Forschungsarbeit, räumliche Intervention, Stipendium Ort: Kiel, 2013-2015 Konzept: Silja Timm, Andine Wijgers Auftraggeber/Förderer: Muthesius Kunsthochschule, Kiel
Hintergrund
Andine Wijgers und Silja Timm arbeiteten von August 2013 bis Februar 2015 an einem Muthesius- Projekt, einem künstlerisch- wissenschaftlichen Forschungsprojekt, gefördert durch die Muthesius Kunsthochschule inklusive Nachwuchsförderstipendium. Ziel des Muthesius- Projektes ist es, dem künstlerischen Nachwuchs vor Ort Gründungsperspektiven aufzuzeigen und durch die Erarbeitung eines eigenständigen Beitrags deren besondere künstlerische und gestalterische Qualität zu entwickeln.
Die Muthesius Kunsthochschule zertifiziert den Abschluss des Projektes mit: »Absolvent/Absolventin eines ‚Muthesius- Projektesʼ«.
Konzept
In unserem Muthesius- Projekt untersuchen wir welche Phänomene, Rituale und Besonderheiten ein lebendiges Stadtleben prägen und wie diese ins Bewusstsein gerückt werden können. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die aktive Einbindung der Stadtbewohner und das Bewusstmachen alltäglicher und deswegen häufig unbewusst wahrgenommener Phänomene, die unseren Alltag prägen und bereichern.
Als urbane Phänomene bezeichnen wir Ereignisse und Handlungen, die zur spezifischen Atmosphäre eines lebendigen Stadtlebens beitragen: das Flötenspiel in der Fußgängerzone, das Nickerchen auf der Parkbank, das Centstück im Wunschbrunnen oder der Krippenwagen auf Stadtsafari. Die Benennung der urbanen Phänomene kann nicht eindeutig und abschließend erfolgen, da die Bedeutung der Phänomene oft im Auge des Betrachters liegt und sich im Laufe der Zeit ihre Rolle für das Urbane ändert. Wir wollen anregen über diese Phänomene nachzudenken und sie als fruchtbares Element im Stadtalltag zu praktizieren, damit der Stadtraum von allen Bewohner als ein lebendiger, vielseitiger und qualitativer Lebensraum genutzt und wahrgenommen werden kann.
Realisierung
Wir entwickelten das urbane MINIMUSEUM. Dies ist ein modifiziertes Standard Gewächshaus mit eigens dafür entwickelten Add-Ons, mithilfe derer diverse Inhalte der Öffentlichkeit präsentiert werden. In einer vierteiligen Ausstellungsreihe in Kiel haben wir es in einer Kombination aus Information, Installation und Aktion als ein real räumliches Instrument künstlerischer Forschung angewandt, wobei auch Workshop– und Umfrageergebnisse mit einbezogen wurden.
Das urbane MINIMUSEUM ist ein offener, extrem niedrigschwellig zugänglicher Ausstellungs- und Aktionsraum. Mitten im öffentlichen Raum an alltäglichen Orten platziert, bietet es die Möglichkeit urbane Phänomene dem durchmischten Stadtpublikum auf vielfältige Weise zu präsentieren und erfahrbar zu machen, ohne dabei bestimmte Besuchergruppen zu selektieren.
Bisherige Themen des urbanen MINIMUSEUMS:
Ausstellung 1
„Ruhen und Schlafen, Beten und Gedenken im Stadtraum“
Darf man eigentlich auf einer Parkbank ein Nickerchen halten? Warum nicht Geld sparen und hier übernachten? Schlafen und Ruhen sind Tätigkeiten die vorwiegend zu Hause stattfinden. Aber ist es nicht auch gesund oder sogar produktiv den täglich aufkommenden Müdigkeitsphasen am helllichten Tag überall nachgeben zu können? Die vorhandene Stadtstruktur bietet wenig Angebot und Abwechslung eine entspannte Ruheposition zu finden. Nutzt man diese ist ungewiss, ob seitens der Stadtbehörden Einwände dagegen bestehen. Das gelegentliche Ruhen stellt meist keine Schwierigkeiten dar. Wie verhält es sich aber wenn Personen auf einen Schlafplatz im öffentlichen Stadtraum angewiesen sind? Oder wenn Reisende mit kleinem Geldbeutel und wenig Gepäck unterwegs sind? Wenn ich öffentlich bete, darf ich dann beten wie ich es für richtig halte? Oder muss ich neben bösen Blicken mit einer Unterlassungsaufforderung oder gar Strafe rechnen? Aufgrund der vielen unterschiedlichen Glaubensrichtungen gibt es ein enormes Repertoire an Gebetsformen. Stillschweigend, gestikulierend, lautstark, singend, stehend, kniend, alleine, in der Gruppe oder in verschiedenen Himmelsrichtungen blickend. Das Gebet ist so vielfältig wie das Stadtleben. Über den Glauben hinaus besitzt jeder Städter Dinge, die ihm heilig sind. Diese können verschiedenen Ursprungs sein – Talismane, Glückscents oder Bilder. Sie bilden in der Summe: die heilige Sammlung der Stadt.
Ausstellung 2
„Jagen und Sammeln im Stadtraum“
„Jagen und Sammeln“ sind Tätigkeiten, die seit jeher praktiziert werden. In der frühen Menschheitsgeschichte dienten sie der Nahrungsbeschaffung und somit der Sicherung des Überlebens. Heute ist das Sammeln eine Leidenschaft, die überwiegend in der Freizeit als systematische Suche, Beschaffung und Aufbewahrung von Dingen betrieben wird. Dabei stehen nicht zwingend materielle, sondern die ideellen Werte der Fundstücke im Mittelpunkt. Den besonderen Reiz stellt der Drang nach Vervollständigung einer begonnenen Serie dar. Neben den klassischen Sammlungen, wie Briefmarken, Sticker oder Zündhölzer gibt es auch kuriose Themen, die sich Sammler auferlegen. So zum Beispiel das Sammeln von Autogrammen oder Fingerhüten. Als Reisende sammeln wir Strandgut, Knöpfe oder Etiketten von Teebeuteln aus aller Herren Länder. Warum nicht kontinuierlich das erste rote Ding, was man am Tag auf der Straße sieht aufheben und archivieren? Der natürliche Jagd- und Sammeltrieb scheint in uns Glückshormone frei zu setzen und uns anzutreiben weiter auf die Suche zu gehen, andernfalls gäbe es nicht so viele Sammler unter uns. Und seien wir mal ehrlich: Wer hat keine „Trophäenkiste“ von was auch immer zu Hause?
Schon Goethe sprach von Sammlern als „glückliche Menschen“. Der öffentliche Stadtraum ist ein besonders vielfältiges Revier für Jäger und Sammler. Neben Pfandflaschen, Liebesbriefen oder Herbstlaub finden sich auch Dinge, deren besondere Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Das urbane MINIMUSEUM als Kabinett gesammelter Dinge beherbergte während der zweiten Ausstellung eine kontinuierlich wachsende Sammlung von Fundstücken aus dem öffentlichen Stadtraum. Die meist alltäglichen Gegenstände in einem Museum auszustellen, gibt ihnen eine neue Bedeutung und Wertschätzung. Besuchende des MINIMUSEUMs sollten sich auf die Jagd begeben und den alltäglichen Stadtraum mit dem fokussierten Blick eines Jägers betrachten und durchkämmen. Die Stadterforscher schlugen dazu einige Suchthemen vor.
Ausstellung 3
„Träumen, Wünschen und Erleben alltäglicher Wunder im Stadtraum“
Der Wunsch ist ein Begehren oder Verlangen nach einer Sache, Begebenheit oder einer Fähigkeit. Ein Streben oder zumindest die Hoffnung auf eine Veränderung der Realität, das Erreichen eines Zieles für sich selbst oder für Andere. Zwischen positiven Wünschen (Glückwünschen) und bösen Wünschen (Flüchen), möglichen und vergeblichen scheinen die Wunschvorstellungen unendlich zu sein. Städte sind als alltägliche Lebensräume auch immer Produktionsorte von Wünschen. Sie lassen Freiraum zum Träumen, Tagträumen, Woandershinträumen, Raum für visionäre Ideen, für Wünsche, Magie und Hoffnungen. In unserem Alltag haben diese „gedanklichen“ Freiräume nicht immer Platz oder wir wissen sie nicht zu nutzen. Alltägliche Wunder verkennen wir oder erkennen wir oft nicht. Das urbane Wunderrepertoire reicht vom Wunschbrunnen über die Glückskleeblattsuche bis hin zum Konfettiregen und Wolkendeuten, das es in dieser Ausstellung zu entdecken galt. Das urbane MINIMUSEUM war mit zahlreichen Wundertüten zum kostenlosen Mitnehmen bestückt. Die Inhalte sollten anregen, die Stadt mit anderen Augen zu sehen und neue (zauberhafte) Dinge auf vermeintlich bekanntem Terrain zu entdecken und auszuprobieren.
Ausstellung 4
„MINIMALL, Shoppingwelten und Erlebnisräume im Stadtraum“
Zu den Ausstellungen sind Dokumentationen in Form kleiner Hefte entstanden. Diese können auf Anfrage zum Selbstkostenpreis direkt bei uns bezogen werden.
Anfragen bitte an info@stadterforscher.net